Chronischer Schmerz
Fachartikel von Barbara Tröbinger
Schmerzen sind ein natürliches Warnsignal des Körpers für Verletzungen, Entzündungen oder Reizungen. Wenn die Ursache beseitigt ist, die Verletzung ausgeheilt, die Entzündung abgeklungen ist, hören die Schmerzen wieder auf.
Bei wiederkehrenden oder massiven Schmerzen kann es allerdings sein, dass sich das Schmerzempfinden, als eine Art "Schmerzerinnerung" im Nervensystem und im Körper verfestigt, ähnlich wie bei posttraumatischen Flashbacks. Der/die Betroffene erlebt Schmerzen, obwohl die körperliche Ursache nicht mehr vorhanden ist. Es kann auch sein, dass zwar eine körperliche Ursache vorhanden ist, aber das Ausmaß der Schmerzen unverhältnismäßig intensiv und belastend erlebt wird. Die Schmerzen haben sich gewissermaßen verselbständigt.
Am häufigsten findet sich chronischer Schmerz als Folge von Schädigungen oder Erkrankungen des Nervensystems (z.B. nach einer Gürtelrose, bei Polyneuropathie, Multipler Sklerose, bei mechanischen Nervenverletzungen oder bei Trigeminusneuralgie). Auch chronische Entzündungen innerer Organe, Rückenbeschwerden oder Tumorerkrankungen können zur Entwicklung chronischer Schmerzen führen.
Der/die Betroffene vermeidet Aktivitäten, bei denen der Schmerz beeinträchtigen oder schlimmer werden könnte. Bewegungsmangel, der Verlust von Hobbies und freudvollen Aktivitäten können die Folge sein. Die Leistungsfähigkeit nimmt ab, alltägliche Aktivitäten werden zur Last. Es kommt möglicherweise zu sozialem Rückzug. Oft ist der Schlaf beeinträchtigt: Einschlafschwierigkeiten, unruhiger, wenig erholsamer Schlaf, nächtliches oder frühmorgendliches Erwachen mit Schmerzen. Man ist reizbarer, innerlich unruhig oder ständig erschöpft und ausgelaugt von den nicht enden wollenden Schmerzen. Immer stärker richtet sich die Aufmerksamkeit auf den Schmerz. Man lebt quasi in der ständigen Erwartung des Schmerzes. Es ist kaum mehr möglich, sich abzulenken oder sich zu entspannen.
Wenn solche Schmerzen über mehrere Monate bestehen und mit erheblichem Leidensdruck, einer Beeinträchtigung der Lebensqualität und/oder der Funktionsfähigkeit in verschiedenen Lebensbereichen einhergehen, dann ist es sinnvoll, professionelle Hilfe aufzusuchen.
Am wirksamsten hat sich bei chronischen Schmerzen eine multimodale Schmerztherapie erwiesen, die sowohl auf die körperliche als auch auf die seelische/geistige Ebene abzielt: eine genaue medizinische Abklärung, eine medikamentöse Behandlung der Schmerzen und der Schmerzfolgen (z.B. Schmerzmedikamente, Antidepressiva), physikalische Therapien, Physiotherapie, Heilgymnastik. Auch gewisse alternativmedizinische Methoden können Besserung bringen. Schließlich kommt einer Psychotherapie innerhalb der Schmerzbehandlung nachweislich eine wichtige Rolle zu.
Psychotherapie bei chronischen Schmerzen
Oft machen Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, die Erfahrung, mit ihren Schmerzen nicht gesehen oder nicht ernst genommen zu werden. Sie irren von einem Arzt zum nächsten, von einem Therapeuten zum nächsten - keiner kann ihnen wirklich helfen. Manchmal werden die angegebenen Schmerzen von Angehörigen oder von ProfessionistInnen auch heruntergespielt. Man solle sich nicht so hineinsteigern. Man müsse sich nur etwas ablenken. Man müsste halt mehr Bewegung machen. Dies verschlimmert das Gefühl des/der Betoffenen, den eigenen Schmerzen hilflos ausgeliefert zu sein und in seinem Schmerz allein gelassen zu werden. Ein Gefühl der Aussichtslosigkeit macht sich breit.
Erster Schritt einer Psychotherapie bei chronischen Schmerzen ist daher die genaue Abklärung der Schmerzsymptome, der Entstehungsgeschichte des Schmerzes und der bisherigen (vergeblichen oder wenig erfolgreichen) Versuche, die Schmerzen in den Griff zu bekommen. Es geht um die Würdigung der Last, die es bedeutet, wenn man ein Leben mit Schmerzen führen muss. Der Kraftaufwand, den es bedeutet, trotz der Schmerzen weiter zu funktionieren, braucht an erster Stelle Beachtung. Auch die Auswirkungen auf die Partnerschaft, das Familienleben, auf Freundschaften, auf Hobbies und Beruf werden von mir genau erhoben. Nahe Beziehungen sind oft von den Schmerzen überschattet: Es dreht sich alles um den Schmerz. Oder der/die Betroffene ist ständig damit beschäftigt, sich die Schmerzen nicht anmerken zu lassen und andere nicht damit zu belasten.
Häufig hat sich das Leben der Betroffenen durch die Schmerzen massiv verändert. Darauf kann in der Psychotherapie nur Bezug genommen werden, wenn dies ebenfalls eingangs zum Thema gemacht wird.
Weiters kläre ich als Psychotherapeutin am Beginn der Therapie die Erwartungen und Ziele des Klienten/der Klientin ab. Ich erkundige mich, inwieweit derzeit bereits medizinische, physikalische und physiotherapeutische Heilbehandlung erfolgt und gebe Informationen über die Wirksamkeit einer multimodalen Schmerztherapie.
Erst dann kann es in der Psychotherapie um Möglichkeiten gehen, den Schmerz weiter in den Hintergrund rücken zu lassen. Psychotherapeutische Wege, um die Schmerzen zu lindern, können besprochen werden. Langsam tun sich möglicherweise neue Ziele und Perspektiven auf.
Ein wesentlicher Aspekt ist oft die Stärkung der verfügbaren Ressourcen des Klienten/der Klientin: Aktivitäten, bei denen sich der Schmerz weniger bemerkbar macht; Aktivitäten, die Ablenkung, die Entlastung ermöglichen; stabile Beziehungen; ein wohlwollender Blick auf sich selbst.
Hypnotherapeutische Techniken haben sich zur "Neuprogrammierung" des Körpergedächtnisses als hochwirksam erwiesen. Dabei begleitet der/die TherapeutIn den Klienten/die Klientin in einen entspannten und konzentrierten Bewusstseinszustand und lenkt die Aufmerksamkeit des Klienten/der Klientin dann auf wohltuende, schmerzlindernde Bilder und Vorstellungen. Diese Ressourcenbilder werden in der Folge gefestigt, Erinnerungsanker werden angeboten. Der/die TherapeutIn übt mit dem Klienten/der Klientin das Abrufen der schmerzlindernden Vorstellungen. Die psychischen Begleitsymptome des Schmerzes - Stress, Anspannung, Angst, Erschöpfung - können durch hypnotherapeutische Techniken, Atemtechniken und Entspannungstechniken ebenfalls deutlich gelindert werden.
Ziel der Therapie ist, dass der/die KlientIn sich wieder im eigenen Körper und mit dem eigenen Körper wohlfühlen kann, wieder Lebensfreude gewinnt, dass wieder eine gute Lebensqualität erreicht wird und dass der/die KlientIn neue, lohnende Perspektiven entwickeln kann.