Familientherapie - das verschwundene Wissen

Fachartikel von Barbara Tröbinger

In indigenen Kulturen sind oft Familienangehörige an Ritualen, die dem Schutz, der Heilung, der Veränderung oder der Wiedergutmachung dienen, beteiligt. Bei diesen Ritualen spielt die Anwesenheit der Gemeinschaft, die Zeugenschaft von anderen eine zentrale Rolle. Denn Veränderung wird nicht vom Individuum allein wahrgenommen und festgestellt, sondern muss auch vom nächststehenden sozialen Umfeld wahrgenommen werden, um als Veränderung Wirklichkeit zu werden.

Probleme des Einzelnen betreffen meist auch die Menschen, die ihm nahestehen. Probleme der Familie betreffen meist auch den Einzelnen. Manchmal übernimmt ein Familienmitglied durch Krankheit oder durch Verhaltensauffälligkeiten die Last aller Familienkonflikte, aller existenziellen Sorgen der Familie und lenkt von bedrohlichen Familiengeheimnissen ab, um so den Erhalt und den Zusammenhalt der Familie zu sichern. Dieses jahrtausende alte Wissen nutzt die moderne Familientherapie.

Die Ursprünge der modernen Familientherapie gehen zurück bis ins 19.Jahrhundert. Bereits die amerikanische Sozialarbeiterin Zilpa Smith arbeitete nach dem Ansatz, die Familie "als Ganzes" zu behandeln, meist um sie zu erhalten, manchmal um bei der Auflösung zu helfen. Die folgenden Entwicklungen waren bis in der Nachkriegszeit eher theoretischer und wissenschaftlicher Natur - im Bereich der Soziologie, der Sozialpsychologie und durch die Abgrenzung der Adler'schen Individualpsychologie von der Psychoanalyse. Behandelt wurden bei psychischer Krankheit oder Verhaltensauffälligkeiten weiterhin primär Individuen. In seinem bereits 1945 erschienenen Buch "Patients have families" forderte der amerikanische Internist Henry B. Richardson, aufgrund seiner Erfahrungen mit internistischen Patienten, bei der Krankenbehandlung familiäre Stressfaktoren abzuklären und die ganze Familie in die Beratung miteinzubeziehen. Erst mit dem Einzug gruppentherapeutischer Techniken jedoch, erfolgte in der Gestaltung psychotherapeutischer Settings tatsächlich ein Paradigmenwechsel.

Die Nutzung radikal-konstruktivistischer und systemtheoretischer Modelle in den 1980ern und 1990ern führte zur Entwicklung eines neuen Verständnisses von Psychotherapie. Spezifische psychotherapeutische Gesprächstechniken wurden, inspiriert durch die Erickson'sche Hypnotherapie, entwickelt, die vor dem Hintergrund der genauen Beobachtung von Kommunikationsmustern zum Einsatz kamen.
Die systemisch-konstruktivistische Familientherapie geht davon aus, dass individuelle psychische Leidenszustände, soziale Stigmatisierung, Verhaltensauffälligkeiten und andere Beeinträchtigungen mit familiären Beziehungen zusammenhängen können und sich umgekehrt laufend auf familiäre Beziehungen auswirken. Auch wenn die "Schuldfrage" (z.B. wer ist schuld, dass unsere Tochter sich ritzt) Familien oft sehr beschäftigt, so geht es Therapeuten nicht darum, diese Frage zu klären. Vielmehr sollen Familien darin unterstützt werden, eingeschliffene Verhaltensweisen, die Probleme aufrechterhalten, zu erkennen und - nach genauer Abwägung möglicher Risiken von Veränderung - Neues auszuprobieren. Damit das möglich ist, mag es für Klienten wichtig sein, in der Therapie über die Schuldfrage zu sprechen, oder eben auch nicht.

Um möglichst genau beobachten und für Klienten möglichst nützlich intervenieren zu können, entwickelten Arbeitsgruppen in Mailand, in Heidelberg und in Norwegen teamorientierte Gesprächssettings (mit Co-Therapeuten hinter einem Einwegspiegel, mit Co-Therapeuten im Raum während eines Therapiegesprächs). Damit wurde der Raum der in einem einzigen Therapiegespräch möglichen Interventionen und der möglichen Beobachtungen vervielfacht. Die Ergebnisse dieser innovativen Therapiesettings waren beeindruckend. In wenigen, über einen langen Zeitraum verteilten Sitzungen wurden immense Erfolge erzielt.

Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, sind therapeutische Gruppensettings gut etabliert. Sie sind wirksam, kostensparend und leicht zu organisieren. Familiensettings dagegen scheinen wieder zu verschwinden. Das eine oder andere Angehörigengespräch wird angeboten, Familienmitglieder gehen aber bevorzugt getrennt voneinander in Therapie. Zeitdruck, ökonomischer und institutioneller Druck in ambulanten und stationären Einrichtungen verhindern die Einbindung der Familien in die Behandlung und in die Zukunftsplanung. Die wissenschaftliche Entwicklung fokussiert biologische Marker mit bunten Bildern aus Brain-Imaging-Messungen, Individualdiagnostik mit standardisierten Methoden und komplexe theoretische Modelle über innerpsychische Vorgänge. Bürokratische Anforderungen heben die Hürde Familiensettings als Therapeut anzubieten. Konkurrenzdenken verhindert, dass Klienten zusätzlich zur Einzeltherapie ein Familiengespräch bei einem Kollegen vorgeschlagen wird.

Familientherapie ist in Österreich heute quasi nur mehr unter dem Label "Elternberatung, Elterncoaching, Erziehungsberatung" organisierbar und finanzierbar. Familientherapie unter Nutzung systemisch-konstruktivistischer (radikal-konstruktivistischer und systemtheoretischer) Modelle und Techniken lässt sich in der Regel nur mehr in Ausbildungssettings routinemäßig realisieren.

Ich habe selbst erstaunliche Erfahrungen in der Familientherapie (als Therapeutin, als beobachtendes Team-Mitglied) nach einem systemisch-konstruktivistischen Ansatz gemacht. Wenn Klienten sich etwas davon versprechen, so sind sie also eingeladen, Angehörige zum Erstgespräch mitzubringen. Ich bitte um vorherige Verständigung über die beim Erstgespräch Anwesenden per Mail oder telefonisch (bis zum Vortag).

Auf Wunsch von Klienten ist es möglich, Familiengespräche mit einem erfahrenen Psychotherapeutenteam zu organisieren. Die Kosten werden individuell vereinbart. Für die Termine ist aufgrund des Organisationsaufwandes eventuell mit einer längeren Wartezeit zu rechnen.

Therapiesessel in der Psychologie Praxis - Mag. Barbara Tröbinger, Graz

Mag. Barbara Tröbinger

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